Sexismus in San Francisco

Busfahren in San Francisco ist zuweilen der Horror und bringt mich – glaubt es oder nicht – an meine Geduldsgrenzen. Ich trete dann gegen den Bordstein, stampfe wie eine Dreijährige und schimpfe wie ein Rohrspatz, wenn wieder ein Bus „out of order“ an mir vorbeifährt. Hier scheint jeder Bus kurz vor dem Auseinanderfallen zu sein, die Fahrt ist oft mittendrin zu Ende, weil sich die Tür nicht mehr schließt oder die Handbremse nicht mehr löst oder sonst irgendwas ist. Aber ich werde auch weiterhin Bus fahren. Zum einen aus Mangel an Alternativen (Fahrräder werden hier nur geklaut), zum anderen weil sich hier die wirklich interessanten Gespräche abspielen. Heute habe ich eine Menge über amerikanischen Sexismus gelernt.

Die beiden Haupt-Akteurinnen: zwei junge Damen (17 und 20) mit kahlrasierten Schädeln.
Die eine: „Hey, du hast deinen Kopf auch rasiert. Warum?“
Die andere: „Das ist meine Rebellion gegen den Sexismus hier. Man denkt es nicht, aber er existiert immer noch!“
Die eine: „Oh ja! Die ganzen Männer, die nur auf lange Haare abfahren…“
Die andere: „Genau. Mein Vater will nicht mal ein Foto von meiner neuen Frisur sehen. Meine Mutter dagegen sagt, dass sie es okay findet, wenn ich mich damit wohlfühle.“
Die eine: „Wie lang waren sie?“
Die andere: „Bis zum Hintern. Ich hab sie dann selber abgeschnitten, sah total scheiße aus. Ein Kumpel hat mich zum Glück gerettet.“
Die eine: „Ich find’s super, steht dir.“
Die andere: „Danke, dir auch!“

Ich hatte diesen versteckten Sexismus in meiner Ignoranz bisher nicht wahrgenommen. Aber jetzt, wo ich davon weiß, muss ich eigentlich handeln – sonst unterstütze ich das System doch indirekt, oder? Leider bin ich ein Feigling. Aber vielleicht lasse ich mal wieder die Spitzen schneiden…?

Ich muss ja sagen: Bisher kenne ich nur einen einzigen un-sexistischen Mann. Er steht ganz offiziell auf kurze Haare bei Frauen. Dafür schickt er sie gerne Bier holen, was ebenfalls weiblicher Rebellion bedarf. Wir haben’s nicht leicht! Nicht in San Francisco und nicht in Kiel. Nirgendwo.

Foto (klein): donnikowski / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Foto: screenpunk / flickr.com (CC BY-NC 2.0)

12 Gedanken zu „Sexismus in San Francisco

  1. Ohne Spaß, ich musste mir (nachdem ich mir ja letztens eine Kurzhaarfrisur hab schneiden lassen) von mehreren Freundinnen, unterschiedlichen Alters anhören :“Ich würde ja auch echt gerne mal, aber mein Freund /Mann „mag kurze Haare nicht.“
    Da kann ich nur den Kopf schütteln.

    Dass ich Julian verbiete, seinen Bart abzurasieren ist selbstverständlich was anderes.

    • Etwas völlig anderes, da muss ich dir recht geben, Bärte gehören zum Gesicht untrennbar dazu! 😉 Aber das mit den Kurzen Haaren hab ich auch schon häufig gehört, aber bei mir ist es eher mein mumm als das Problem von Paul der Ausschlaggebende Punkt!

    • Die Vorliebe der Männer für Vollbärte hängt mit der Emanzipierung der Frau zusammen. Denn beim Vollbart kommt auch die emanzipierteste Frau nicht mit.

      George Hamilton

      Wie schafft ihr es nur, das so hinzudrehen, als ob es eure Entscheidung wäre dass der gute Mann nen Bart hat!? Der ärmste will der emanzipation Einhalt gebieten und nicht eure Befehle ausführen 😦

  2. Selbstverständlich:
    Die Haare die dir auf dem Kopf fehlen müssen ja irgendwie kompensiert werden.

    Ich verstehe aber ohnehin nicht, was alle immer mit Haaren haben. Haare? Gibt es nichts wichtigeres am Gegenüber? Bitte? Haare?
    Womit bietet sich experimentieren denn mehr an? Die wachsen sogar nach! Es bleiben keine Narben zurück, es bedarf keiner Laserbehandlung wenn es einem nicht gefällt und weh tut das Schneiden auch nicht.

    Haare? Bitte… Das ist so was von 60er-Jahre…

  3. Man muss aber auch gucken, dass man Sexismus nicht mit Geschmack verwechselt.
    Mein Mann mag auch lange Haare lieber, aber ich habe für meinen kürzeren Haare ein „Na, sieht ja doch ganz gut aus“ bekommen, er konnte es sich einfach vorher nicht vorstellen.
    Das hatte nix mit „Frauen müssen lange Haare haben“ zutun, sondern mit seinem Ästetikempfinden. 🙂

  4. „Früher“ hatte ich mal einen Freund, der mich verlassen hat, als ich meine Haare rot gefärbt habe. Das hatte eigentlich zur Folge, dass mein Haare immer genau so waren, wie ich sie wollte… Ich glaube, „das System nicht zu stützen“ heißt, das zu tragen, was uns gefällt – und wenn es der Kahlschlag sein soll…
    Erinnert mich ein bisschen an lila Latzhosen, um nie wieder Rock zu tragen…

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