Hari Prem

Heute hatte ich eine richtig schöne Begegnung. Ich bin morgens an den Strand gegangen um die Stimmung zu genießen und um ruhig zu werden. Seit einiger Zeit übe ich mich in christlicher Meditation, hatte in den letzten stressigen Wochen aber nicht mehr die Muße dafür. Naja, es hat medium-gut geklappt, aber als ich die Augen wieder öffne steht der weißbärtige Mann neben mir, der nicht weit von mir im Sand Qi Gong-Übungen praktizierte. Er fragt mich auf Englisch, ob er sich zu mir setzen darf.

Der Mann, nur mit einer weißen Leinenhose bekleidet, erzählt mir dass er auch erst eine gute Woche hier ist. Das wundert mich: Ich hätte ihn glatt als Inder durchgehen lassen. Braungebrannt, meditierend, seine Aura, alles passt – er selbst meint es könne daran liegen, dass sich seine Gesichtszüge den indischen angeglichen haben in den vielen Jahren, die er schon nach Indien reist. Vor 32 kam er das erste Mal nach Indien, seitdem hat sich sein Leben radikal verändert und er praktiziert verschiedene Dinge wie Qi Gong, Yoga und andere Meditationen. Jedenfalls: Eigentlich ist er ein Holländer, der die letzten Jahre in Frankreich lebte. Aber seinen Namen hat er längst abgelegt und verrät ihn mir auch nicht. In seinem neuen Leben heißt er Hari Prem, „göttliche Liebe“.

Klingt verrückt, aber die Begegnung mit ihm ist trotzdem beeindruckend. Er ist nicht so abgehoben, wie ich zuerst vermute. Nur dass ich Christin bin und keinen anderen tollen spirituellen Weg hier suche findet er nicht so prickelnd. Aber er erklärte mir auch warum: Er ist in einer strenggläubigen katholischen Familie aufgewachsen, in der er vor dem Essen immer Andacht halten musste und bekam gesagt, dass „dieses Leben hier ein Kreuz ist, das man zu tragen hat, das eigentliche Glück kommt später im Himmel“. Schade, wo Kindern so viel Weltverneinung vermittelt wird. Ich wundere mich nicht, dass er ausbrechen musste. Ob sein jetziger Weg ihn besser trägt? Auf jeden Fall wirkt er glücklich und strahlt viel Liebe und Annahme aus. Aber er ist auch hier, um seinen künftigen Weg zu finden. Die Ehe lehnt er grundsätzlich ab, sie töte die Liebe, aber er lebt in einer zwölfjährigen Partnerschaft, die vielleicht bald auseinander gehen wird. „Die Liebe ist noch da, aber man kann eben nicht immer mit den Menschen zusammen leben, die man liebt.“ Vielleicht wird er als Single von hier weggehen. Er scheint es gelassen zu nehmen.

8 Gedanken zu „Hari Prem

  1. Du hast ja schon sehr interesante Erfahrungen in den ersten Tagen in Indien. Die Leute scheinen dort sehr offen zu sein, suchen Gespräche und „Neue,s kennenlernen“; anders als hier, wo jeder doch eher seinen Stil lebt mit dem Augenmerk „Komm mir nicht zu nahe“.- Dieses Bild von dem Mann ist gut gelungen. Er sieht auch für mich aus wie ein Inder. – Sicher sind dort viele Leute „auf der Suche“ zu finden, die vom Christentum enttäuscht sind. Wie gut, dass es Christen gibt, die nicht dieses “ die Welt ist nur böse“ weitergeben. —- Gestern, als Du vom herrlichen Meer schriebst, dachte ich: Würde mir sicher auch gut dort gefallen……Hast Du eigentlich mal geschaut, was auf der Ziehharmonika stand? Vielleicht Hohner (Trossingen)? Das wär doch interessant.——Da fällt mir noch ein:Ich habe Miriams Mutter kürzlich zufällig beim Einkaufen getroffen: Sie hat mich angestrahlt und gefragt, wie es Dir gehe und ob ich schon was wisse……..Man merkt ihr die Freude darüber an, dass Miriam Besuch aus Deutschland hat.——Übrigens: Ich habe Jochen gefragt, ob ihm auch nichts Verrücktes für Dich einfiele. Jetzt überlegt er und überlegt…….was da wohl rauskommt?—Meine Idee: Lerne Qui Gong; das ist „hier“ sehr gefragt. Na ja, verrückt ist es trotzdem nicht.

  2. Väterchen

    da scheint sich ja wirklich ein besonderes Völkchen zusammenzufinden in dieser „Sex- und Drogenhölle“ Goa. Das war mir eigentlich bekannt, aber es ist wohl noch einiges krasser als ich dachte; sämtliche Klischees die man von Goa als Aussteigerparadies hat, werden noch übertroffen, wenn man Deine interessanten Berichte liest. Trotzdem muss ich den anderen Kommentatoren recht geben, die Dir raten, nicht hinterherzuhecheln in dem Bemühen möglichst „verrückt“ aufzutreten, sondern so authentisch wie möglich zu sein. Das steht jedem Menschen immer noch am Besten. Was ich mir bei Dir gut vorstellen könnte an Stelle oder als Ergänzung zur Pluderhose – ein indischer Sari.

    Ich frage mich, wovon all diese Weltverbesserer und Sinnsuchenden, Leuchtstabjonglierer und Meditierer eigentlich leben. Die sind ja wahrscheinlich nicht nur 2 – 3 Wochen in Indien und selbst bei bescheidenstem Lebensstandard braucht man ja auch in Indien über Wochen und Monate doch einiges an Geld. Nur von Luft, Liebe und Spiritualität kann man ja nicht leben, es sei denn man ist indischer Yogi, die sollen es ja teilweise tage- und wochenlang ohne essen und im Freien aushalten. Zu solcher Askese dürften es aber die wenigsten bringen.
    Ich nehme mal an, dass Du so etwas noch keinen dieser illustren Schar gefragt hast, das wäre ja uncool und würde wohl auf missbilligendes Kopfschütteln stoßen.

    Ich freue mich weiterhin auf Deine bunten Eindrücke und lass Dich nicht von den Moskitos beissen.

  3. Ist dir schon aufgefallen, dass du jetzt schon 2 Personen getroffen hast, die das Christentum mit einer eigenen, negativen katholischen Erfahrung gleichsetzten?
    Hm…

  4. Ich begegne auch immer wieder Menschen, deren Glaube vor allem von Verboten, Geboten, Einschränkungen … geprägt ist. Gott als der Tyrann, den man mit möglichst gutem Tun zufrieden zu stellen versuchen muss. Ein Grauen …
    Tolle Begegnung offenbar!

  5. @ Mum: Qi Gong wäre so ziemlich das Unverrückteste was ich hier machen könnte… 🙂
    @ Väterchen: Auf so’n Sari hätte ich schon Lust, ich kann mich gar nicht satt sehen! Bisher siegt der Verstand, der mir sagt, dass ich in Deutschland nichts damit anfangen kann (so wie mit meinen vielen Afrika-Kleidern). Und ich habe gehört, dass die Schneider hier nicht so toll sind: „In einem Jahr sind sie Schneider, im nächsten Masseur – je nachdem was gerade gefragt ist!“
    @ Almut: Ja, interessant, oder? Wobei ich schon glaube, dass das vor allem daran liegt, dass es in Deutschland eben viele Katholiken gibt – ich werde die Fallstudie weiterführen.
    @ Anja: Ja, das tut richtig weh… Schön, dass du dagegen anarbeitest!

  6. habe meiner tochter nen sari geschenkt, aber sie traut sich nicht ihn zu tragen
    sie nutzt ihn wohl als wandbehang oder so….

    war am freitag in e christl gemeinde zum diavortrag über kreta, die ganze zeit wurde rumgenölt
    bei uns wäre das ja alles viel besser…..manche wissen wirklich nicht wieviel armut es in berlin gibt
    lies mal jesaja 58….

  7. ich habe diesen Artikel gerade zufällig gefunden und bin erstaunt, dass Hari Prem mich schon wieder gefunden hat. Ich habe ihn vor ziemlich genau einem Jahr zufällig im Bus in Dehli getoffen und dann zwei Wochen später erneut in Dharamkot. Ein toller Mensch.

  8. Pingback: Wie ich in einem indischen Bus meinen Guru fand | BezirztBezirzt

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